Vorwort zur 7. AuflageEvolvierbarkeit als Grundeigenschaft des Lebens. „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Licht der Evolution.“ Dieser häufig zitierte Aufsatztitel stammt von dem berühmten Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhanski.1 Auch Wehner & Gehring2 sprechen für viele Biologen, wenn sie schreiben: „Zahlreiche Befunde … liefern derart eindeutige Belege für den Ablauf von Evolutionsprozessen, daß heute niemand, der naturwissenschaftlichen Argumenten zugänglich ist, am generellen Faktum Evolution noch Zweifel hegen kann.“ Mikroevolutive Prozesse sind in der Tat vielfach durch empirische Forschung belegt, und ihre Analyse durch die Evolutionsbiologie ergab grundlegende Einsichten in die geniale Anpassungsfähigkeit lebender Systeme. Obgleich noch viele Fragen offen sind, ist „Evolvierbarkeit“ im Sinne von Mikroevolution (-> II.4.3) erkennbar eine fundamentale Eigenschaft des Lebens. Es ist ein wichtiges Anliegen dieses Buches, diese Forschungsergebnisse und die wissenschaftlichen Leistungen der daran beteiligten Evolutionsbiologen zu würdigen. Die in diesem Buch ebenfalls vorgebrachte Kritik relativiert dieses Anliegen keineswegs. Kritische Fragen. Was können die bisher beobachteten evolutiven Prozesse bewirken? Die Mehrheit der Biologen ist der Überzeugung, dass sie ausreichen, um makroevolutive Bildungen grundsätzlich zu verstehen. Als Makroevolution bezeichnet man die Entstehung von Zellen, biomolekularen Maschinen, komplexen Regulationsnetzwerken und Organsystemen. Mit anderen Worten: Theorien zur Makroevolution fragen nach dem Ursprung konstruktiver biologischer Information. Zahlreiche wissenschaftliche Befunde stellen die verbreitete Lehrbuch-Gleichung „Makroevolution = Mikroevolution + Zeit“ in Frage. Diese Befunde haben nicht nur unserer Auffassung nach ein so großes Gewicht, dass die Frage nach den Mechanismen des makroevolutiven Wandels von einer überzeugenden Antwort weit entfernt ist. Makroevolution kann daher nicht unreflektiert als empirisch belegte Tatsache aller weiteren Forschung vorausgesetzt werden. Noch weniger darf der Naturalismus als weltanschauliche Vorgabe den Rang einer wissenschaftlich begründeten Voraussetzung einnehmen. Kritische Diskussion als Kennzeichen von Wissenschaft. Die mediale Präsentation der Ursprungsfragen hat der Öffentlichkeit ein einseitiges Bild vermittelt: Das Verständnis makroevolutiver Prozesse sei so weit fortgeschritten, dass Kritik daran nur noch als Symptom für Wissenschaftsfeindlichkeit verstanden werden könne. Sachliche Kritik gehört jedoch zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens. Einseitige Denkansätze und Diskussionsverbote sind selbständigem, kritischem Denken abträglich. Die sachliche Diskussion weitet dagegen den Blick, fördert kreatives Denken und ist eine wichtige Voraussetzung für den Fortschritt der Wissenschaft. Wo sie unterdrückt wird, steht Wissenschaft in der Gefahr, zur Ideologie zu werden. Grenzüberschreitungen sind unumgänglich. Ursprungslehren kommen nicht umhin, die Grenzen der Naturwissenschaft zu überschreiten, wenn sie Aussagen über die Geschichte des Lebens als Ganzes machen wollen. Das gilt gleichermaßen für den Naturalismus, der die naturwissenschaftlich erforschbare Welt mit der Realität schlechthin gleichsetzt, wie für den Theismus, den die Autoren dieses Buches vertreten und der die Natur grundsätzlich als Schöpfung versteht. Von philosophischer Seite ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass Naturalismus kein Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung, sondern eine Vorgabe ist, die von vielen Wissenschaftlern aus vorwissenschaftlichen Gründen absolut gesetzt wird. Deshalb ist eine kontroverse Diskussion zu erwarten, wenn man bei der Deutung von Naturphänomenen auch die Möglichkeit geistiger Verursachung einbezieht, erst recht, wenn darüber hinaus Bezug auf Offenbarung genommen wird, wie das in Teil VII dieses Buches teilweise geschieht. Die Kontroversen erstrecken sich dabei auch auf unterschiedliche theistische Standpunkte. In solchen Spannungsfeldern ist ein fruchtbarer Diskurs nur möglich, wenn Grenzüberschreitungen in den weltanschaulichen Bereich von allen Seiten sorgfältig kenntlich gemacht und als Antwortoptionen respektiert werden, die bewusst über den Bereich der Naturwissenschaft hinausgehen. Das geschieht in diesem Buch durch optisch abgesetzte Textkästen („Grenzüberschreitungen“). Evolution und Weltanschauung. Evolution als Gesamtentwurf der Geschichte der Lebewesen berührt unweigerlich auch philosophische und weltanschauliche Themen. Wer nach dem Ursprung der Welt, des Lebens und des Menschen fragt, muss zwischen unterschiedlichen weltanschaulichen Vorstellungen wählen. Alle möglichen Antworten beinhalten Glaubensentscheidungen und bestimmen Welt- und Menschenbild; daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für das Selbstverständnis des Menschen und sein Handeln. Den Herausgebern und Autoren dieses Buches liegt am Herzen, den kontroversen Diskurs – bei aller Vorläufigkeit der vorgebrachten Argumente – sachorientiert und respektvoll zu führen und zu einer kritischen Betrachtung verschiedener Positionen herauszufordern. Die erste Auflage dieses Buches erschien 1986 unter dem Titel „Entstehung und Geschichte der Lebewesen“. Manche Leser haben angemerkt, dass dieses Buch im Laufe der Zeit einen deutlich erkennbaren Wandlungsprozess durchlaufen hat. Dieser Wandel wird auch beim Vergleich zwischen 6. und 7. Auflage deutlich. Die Veränderungen dieses Buches geben einerseits und wesentlich den Fortschritt der Wissenschaft wieder. Andererseits sind sie ein Spiegel der Autoren, die zwangsläufig vor dem Hintergrund ihrer persönlichen unterschiedlichen Lebensgeschichten schreiben. Baiersbronn und Freising, im September 2013 Reinhard Junker
Wichtige Bearbeitungen der 7. AuflageBei der Bearbeitung wurden zum einen berechtigte Kritikpunkte berücksichtigt, die uns Leser übermittelten, zum anderen wurde neuen wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen. Auf einigen Gebieten der Biologie ist die Produktion neuer Forschungsergebnisse rasant, dies gilt vor allem für die Molekularbiologie, Embryologie und Endosymbiogenese-Forschung. Entsprechend wurden Kapitel IV.9 und Abschnitt V.10.3 gegenüber der vorigen Auflage sehr stark überarbeitet und in wesentlichen Teilen sogar neu geschrieben. Neue Funde und neue Untersuchungsergebnisse führten zu stärkeren Überarbeitungen einiger Teile von Kapitel VI.15 (Entstehung der Menschheit) und Abschnitt VI.14.6 (Entstehung der Säugetiere). Zum Teil ganz neu bearbeitet wurden das wissenschaftstheoretische Kapitel I.1 sowie der Abschnitt über das Design-Argument (VII.16.6). Kapitel V.11 enthält einen neuen Abschnitt; der Abschnitt über den „Evo-Devo“-Ansatz (III.6.3.8) wurde stark erweitert. Einige neue Abschnitte enthält auch Kapitel IV.7 über die Lebensentstehung. Aber auch alle anderen Kapitel wurden in geringerem Umfang aktualisiert. Johannes Weiss hat dem Werk seit der 4. Auflage ein ansprechendes „Gesicht“ gegeben. Auf der Basis seiner Vorgaben wurde die neue Auflage von Frank Meyer grafisch gestaltet.
Vorwort zur 6. AuflageEvolutionsforschung: Die Königsdisziplin der Biologie. „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Licht der Evolution.“ Dieser häufig zitierte Aufsatztitel stammt von dem berühmten Evolutionsbiologen Theodosius DOB-ZHANSKI.1 Auch WEHNER & GEHRING2 sprechen für viele Biologen, wenn sie schreiben: „Zahlreiche Befunde ... liefern derart eindeutige Belege für den Ablauf von Evolutionsprozessen, daß heute niemand, der naturwissenschaftlichen Argumenten zugänglich ist, am generellen Faktum Evolution noch Zweifel hegen kann.“ Mikro-evolutive Prozesse sind in der Tat vielfach aus natürlichen Variations- und Artbildungsprozessen bekannt, und ihre Erforschung durch die Evolutionsbiologie ergab grundlegende Einsichten in die geniale Anpassungsfähigkeit lebender Systeme. Deshalb wissen wir heute, dass „Evolvierbarkeit“ im Sinne von Mikroevolution (-> II.4.3) eine fundamentale Eigenschaft des Lebens ist. Es ist ein erstes Anliegen dieses Buches, diese Forschungsergebnisse und die wissenschaftlichen Leistungen der daran beteiligten Evolutionsbiologen zu würdigen. Die in diesem Buch vorgebrachte Kritik von Makroevolutionshypothesen relativiert dieses Anliegen keineswegs. Weil fast alle biologischen Disziplinen zur Analyse von Evolutionsprozessen beitragen und weil die Suche nach dem Ursprung des Lebens eine der fundamentalsten Fragen nicht nur der Biologie, sondern auch des Menschen ist, darf man Ursprungsforschung und dazu gehört die gesamte Evolutionsforschung mit Fug und Recht als die Königsdisziplin der Biologie bezeichnen. Kritische Diskussion als Kennzeichen von Wissenschaft. Die überwältigende Mehrheit der Biologen ist der festen Überzeugung, dass die beobachtbaren mikroevolutiven Prozesse schließlich zur Makroevolution führten, also eine ausreichende Erklärung dafür liefern, dass alle Lebewesen aus Einzellern in einem historischen, natürlich verursachten Evolutionsprozess hervorgegangen sind. Unseres Erachtens existieren jedoch zahlreiche Befunde, die dieser Auffassung widersprechen. Die mediale „Vermarktung“ der Ursprungsfragen hat der Öffentlichkeit ein einseitiges Bild vermittelt: Eine allgemeine Evolution der Lebewesen sei so sicher, dass Kritik daran geradezu ein Symptom für Wissenschaftsfeindlichkeit sei. Das erscheint paradox, denn sachliche Kritik gehört zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens; wo sie unterdrückt wird, steht Wissenschaft in der Gefahr, zur Ideologie zu werden. Einseitige Denkansätze und Diskussionsverbote jeder Art sind selbständigem, kritischem Denken abträglich. Die sachliche Diskussion verschiedener Aspekte weitet dagegen den Blick und fördert kreatives Denken. Es ist für eine fruchtbare Diskussion wichtig, zu unterscheiden zwischen einem Evolutionismus, der mit Absolutheitsanspruch als Weltanschauung auftritt, und Evolutionstheorien3 als wissenschaftliche Ansätze, die Geschichte des Lebens zu verstehen. Der Evolutionismus immunisiert sich gegen Kritik, wissenschaftliche Evolutionstheorien sind dagegen für wissenschaftliche Kritik offen. Aus dieser Situation ergibt sich ein zweites Hauptanliegen dieses Buches: Weithin unbekannte Deutungsprobleme und offene Fragen von Evolutionstheorien werden systematisch thematisiert. Sie haben nach unserer Auffassung ein so großes Gewicht, dass Makroevolution als nicht mehr hinterfragbare Leitvorstellung (-> II.4.3) ernsthaft geprüft und nicht als Tatsache vorausgesetzt werden sollte. Grenzüberschreitungen sind unumgänglich. Ursprungslehren kommen nicht umhin, Grenzüberschreitungen vorzunehmen, wenn sie Aussagen über die Geschichte des Lebens als Ganze machen wollen. Das gilt gleichermaßen für den Naturalismus, der die naturwissenschaftlich erforschbare Welt mit der Realität schlechthin gleichsetzt, wie für Schöpfungslehren, die Bezug auf Offenbarung nehmen (-> I.3; VII.16). Es ist den Autoren dieses Buches ein drittes Anliegen, Grenzüberschreitungen in den weltanschaulichen Bereich kenntlich zu machen. Dies geschieht in den Teilen I-VI durch entsprechend gekennzeichnete Textkästen. Teil VII widmet sich Deutungsweisen unter der Vorgabe von Schöpfung explizit. Dieser Deutungsansatz, dessen naturwissenschaftliche Probleme nicht verschwiegen werden, liefert u.E. auch fruchtbare Ansätze im Bereich experimenteller Forschung (vgl. S. 318). Evolution und Weltanschauung. Die Evolutionslehre3 als Gesamtentwurf der Geschichte der Lebewesen berührt unweigerlich zentrale naturwissenschaftliche, philosophische und weltanschauliche Themen. Wer nach dem Ursprung der Welt, des Lebens und des Menschen fragt, muss zwischen unterschiedlichen weltanschaulichen Vorstellungen wählen. Alle möglichen Antworten beinhalten Glaubensentscheidungen und bestimmen Welt- und Menschenbild; daraus ergeben sich weit reichende Konsequenzen für das Selbstverständnis des Menschen und sein Handeln. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Analyse der vorliegenden naturwissenschaftlichen Daten von ganz besonderer Bedeutung. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Endgültigkeit, als Autoren sind wir uns der Begrenztheit unseres (persönlichen) Wissens bewusst und an manchen Stellen mögen wir irren. Für inhaltliche Kritik sind wir deshalb dankbar. Es ist unser Wunsch, dass dieses Buch bei aller Vorläufigkeit zu einer wissenschaftlich orientierten, kontroversen Auseinandersetzung beiträgt. Baiersbronn und Freising, im Juli 2006 Reinhard Junker
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Studiengemeinschaft WORT und WISSEN e.V.
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